Ich stehe unter der Dusche und blicke durch das Fenster in einen grauen Nebel-Regen-Herbsttag in Wien. An die Auszeit erinnern nur mehr Kleinigkeiten: das letzte Rest Haar-Shampoo "Weißer Pfirsich" und ein ebenso letzter Rest gebräunter Haut. Sie nähert sich trotz aller Bemühungen mit dem von Max als "Body Glue" bezeichneten "Energy Glow"-Selbstbräuner rasant der Farbe des Himmels an: shades of grey. Ich erinnere mich noch gut, wie ich vor vielen Monaten einmal einen Blog-Eintrag mit dem Titel "Shades of Grey" geschrieben habe, als wir an der Ostküste Australiens in eine sehr lange währende Schlechtwetterfront geraten sind.
Auch die Erinnerung kann hier nichts beschönigen: ich gebe unumwunden zu, dass ich damals auch nicht gerade gut drauf war. Zuhause hat man doch um einige Freiheiten mehr, dachte ich: ich könnte einen Kuchen backen (unser Wohnmobil hatte kein Backrohr), ich könnte mich aufs Sofa legen (unser Wohnmobil hatte nur eine schmale Bank), ich könnte Video schauen (von Videorekorder im Wohnmobil natürlich keine Spur), doch dieser Tage tue ich bei diesem Wetter von alledem kaum etwas. Denn ich mache Besuche – nicht aber jene erfreulichen Wiedersehensbesuche, die man sich in der Ferne so gerne ausmalt, sondern ich besuche Ärzte – drei in einer Woche.
Als Spezialistin für Kehlkopfentzündungen habe ich mir gleich nach der Rückkehr wieder eine zugelegt – und eine Allergie gleich obendrein. Obwohl ich mir ja nicht vorstellen kann, dass es tatsächlich ein Kraut gibt, das diesem grässlichen Wetter trotzt und um diese Jahreszeit nicht nur blüht, sondern auch noch Allergien verursacht. Doch ja, das gibt es: sie haben vielversprechende Namen wie "Wegerich" und "Beifuß" – wobei ich bei ersterem an einen Landstreicher und Strolch und zweiteren an eine unschöne Fußverformung denken muss.
Max: klingt irgendwie bedenklich, denn ich habe auch leichtes Augenjucken, was mir zwar als Profiallergiker – beim gestrigen Allergietest hatte ich gleich 16 von 21 möglichen Punkten – nicht grundsätzlich fremd ist, aber der Herbst war für mich bislang eher die Erholungssaison.
Vieles ist anders in Wien. Anders als in Asien sowieso, aber auch anders als in Australien oder den USA. Hier bin ich – auch ohne die Arbeit gleich wieder aufzunehmen – sofort und trotz aller Gegenmaßnahmen wieder im alten Trott gelandet. Putzen, Erledigungen machen, Organisieren, Einrichten, Einräumen und Ausräumen sind beängstigend schnell wieder zur lästigen Pflicht geworden. Dabei war ich so sicher, dass es dieses Mal ganz anders sein würde. Das Schlimmste aber ist das Zeitgefühl: kaum zuhause, verrinnt die Zeit wieder. Man tut viel, ohne das Gefühl etwas für sich getan zu haben. Der Tag ist vorbei, ohne ihn wirklich gelebt zu haben. Das Leben spielt sich auf einer To Do-Liste ab, die in die Zukunft weist, aber die Gegenwart erdrückt. Keine Spur mehr von der lieb gewonnenen Langsamkeit des Seins, des Im-Moment-Lebens und Einfach-nur-Genießens. Scheinbar ist doch nicht alles in der Auszeit Gelernte so einfach in den Alltag zu übertragen, stelle ich etwas desillusioniert fest.
Einiges aber doch, und das stimmt mich fröhlich: die Lust auf Neues lebe ich jetzt im Kleinen aus. Das Kleine dabei sind die Rezepte, die ich den 8,5 Monaten Auszeit zusammengetrage habe, oder auch die vielen mitgebrachten Kochbücher, die ich abends mit Genuss lese, um dann Menüs zusammenzustellen, die ich in den nächsten Monaten kochen will. Nach nur zwei Wochen kann ich bereits stolz Kochexperiemente für folgende Rezepte nennen: Schoko-Bananen-Muffins, French Toast, Baked Grapefruit Alaska, Lemon Meringue Pie, Ei-Spinat-Frühstückstöpfchen, Überbackene Avocado und Hühnerbrust mit Spinat-Ricotta-Fülle melden. Die Rezepte dazu gibt es wieder auf
http://dasfacettenreich.spaces.live.com/.
In den besonderen Mußeminuten sehe ich McLeods Töchter auf Video und lasse mich so nach Australien zurückbeamen – auch wenn die warmen Ringelsocken an meinen Zehen zwar fröhlich machen, aber doch nicht ganz zu Australien passen, wie ich es in Erinnerung behalten will: angenehm warm und sehr zehenfrei. Manchmal heize ich richtig ein und stecke die nackten Zehen heraus, nur um der Erinnerung für kurze Zeit gerecht zu werden.
Ganz ist die Erinnerung aber noch nicht verblasst, was auch daran liegt, dass ich damit beschäftigt bin, diverse Fotos auszuwählen und nachmachen zu lassen. Die Fülle der Fotos beweist, dass ich tatsächlich auf Weltreise war. Wenn ich mich jedoch das Wort "Weltreise" aussprechen höre, fühlt es sich sehr unwirklich an. War ich wirklich weg? So lange? So weit? So schön? Jedes Foto, das ich von Max und mir ausdrucke, erzählt eine ganze Geschichte. Manchmal muss ich zweimal hinschauen: War das wirklich ICH?
Auch in anderen Dingen merke ich die Nachwirkungen der Auszeit. Gehen wir einkaufen, denke ich automatisch: "Wo geht’s hier zu Safeway oder Coles?" und stelle mir dabei die unendliche Auswahl in den australischen und amerikanischen Supermärkten vor. Und vergesse darüber, eine Einkaufstasche mitzunehmen und muss diese im Supermarkt zahlen, was in Australien und den USA gar nicht üblich ist. Auch die Münzen für den Einkaufswagen vergesse ich regelmäßig – so etwas braucht man dort auch nicht. (Max: dafür stehen die Wagerl dort dann auch unnötig mitten am Parkplatz)
Manchmal ertappe ich mich auch dabei, wie ich ganz im Auszeitstil viel offener als in Wien üblich auf Menschen zugehe und sie anspreche. Nur den positiven Kommentar zu einer sehr bunten Brille eines älteren Herren verkneife ich mir dann doch: sie gefällt mir wirklich und sie passt ihm hervorragend, aber was ich in Australien noch ohne nachzudenken gemacht hätte, zensuriere ich hier. So erfährt er also nicht, dass ich seine schräge Brille an ihm wirklich ganz toll finde!
Auch einen Frisörbesuch habe ich zwischenzeitlich hinter mich gebracht. Ganze 4 Stunden hat er gedauert: 1 Stunde Warten mit Bummeln im Einkaufszentrum, 1 Stunde Warten im Geschäft und 2 Stunden Pseudo-Behandlung. Pseudo deshalb, weil die reine Bearbeitungszeit meines Hauptes maximal 40 Minuten in Anspruch nahm – die restliche Zeit wurden andere Kunden eingeschoben und diverse Tratschereien durchgeführt. Wenn man bedenkt, dass wir in Asien, Hawaii, Australien und den USA zahlreiche Frisörbesuche absolvierten – jedesmal kleine Mutproben, die wir aber nie nachhaltig bereuen mussten – und diese nie mehr als 20 Minuten dauerten, muss man sich hier schon wundern. Anstatt der netten Plaudereien, die wir im Ausland dabei erlebten, wurde meine Bearbeitung mit den schroffen Worten eingeleitet: "Pflegen Sie Ihre Haare nie?" Das war nun nicht gerade der ideale Einstieg für eine Verschwesterung und ich wage zu bezweifeln, dass ich diesen Frisör wieder besuchen werde.
Das Einkaufen zuhause erfordert auch ein Umdenken, dessen wir auch nach 2 Wochen noch nicht mächtig sind: die Lebensmittel hier haben sehr kurze Ablaufdaten und bereits dreimal haben wir Käse gekauft, an dem wir zuhause Schimmelbefall feststellen mussten. Das haben wir in 8,5 Monaten Auszeit kein einziges Mal erlebt. Auch die Tatsache, dass man etwas kauft, was laut Aufschrift bereits am nächsten Tag abläuft, ist noch etwas gewöhnungsbedürftig. Wie soll ich einen ganzen Becher Schlagobers an einem Tag verdrücken? Und wer besticht danach für mich die Waage?
Überhaupt finde ich, dass hier alles eine andere Dichte und Dimension hat, und dabei meine ich nicht nur die schnell dahinrasende Zeit. Nein, auch im Einkaufszentrum ist alles enger und dichter und schneller, ebenso im Autobus, in der Schnellbahn und in den Parkhäusern. Vielleicht trägt auch das zur subjektiv wahrgenommenen Gehetztheit und objektiv wahrgenommenen Gereiztheit bei.
Die Tatsache, dass wir so lange mit so wenig ausgekommen sind, führt auch zu befremdlichen Ausmistattacken. Alles, was sich nicht von selbst repariert hat (oder netterweise repariert wurde), muss raus. Das nenne ich Glück für den Geschirrspüler, der als einziges angeschlagenes technisches Gerät die Selbstheilungskräfte erfolgreich eingesetzt hat. Er darf bleiben!
Leider stellt er eine Ausnahme dar, und es scheint, dass, je mehr Probleme wir beseitigen und je mehr Dinge wir reparieren, umso mehr den Geist aufgeben. Die To Do-Liste unterliegt einem organischen Wachstum, von dem viele Unternehmen gerade heute nur träumen können.
Andererseits scheint es, als kämen wir aus dem Einkaufen in Wien gar nicht mehr heraus. Und zwar nicht, weil wir so viel unnötigen Kram kaufen, sondern weil der Neustart eben einige Anschaffungen erfordert, die manchmal allerdings in lustigen Kombinationen kommen. So etwa stand ich eines Tages höchst amüsiert an der Kassa vom Intersport Eybl, als die Verkäuferin den hübschen Abverkaufsbikini und die neuen Trekkingschuhe begutachtete und irgendwie den Eindruck erweckte, als würde sie diese Artikel alleine als etwas unvollständiges Outfit erachten.
Und ich arbeite Australien auf – mit der köstlichen Lektüre von Bill Bryson über "Down Under". So kurz danach liest sich das Buch, das ich bereits vor Jahren einmal gelesen habe, noch besser an. Wie gut kann ich vieles doch nachvollziehen!
Auch das Warten fällt mir viel schwerer. Das Warten bei Bus, Bahn und Kassen scheint hier wirklich sinnentleert, während es im Ausland okay war und mir Zeit gab, meinen Blick neugierig umherschweifen zu lassen. Doch die mir eigene Neugier findet hier nicht viel, was sie wirklich reizt. Was im Ausland auch nach Monaten noch exotisch und reizvoll war – die Auswahl an Kaugummisorten oder Zeitschriften an der Kassa von Supermärkten – ringt mir hier nur einen fast schon wieder gehetzten Blick auf die Uhr ab. Gut dass ich meistens keine trage, das bringt mich dann oft schnell wieder auf den Boden der Realität zurück.
A propos Realität: eine Welt mit Leberkäsesemmeln ist nicht übel; trotzdem vermisse ich Portobello-Pilze, frische und exotisch vormarinierte Meeresfrüchte, schokoüberzogene Cranberries und exotische Joghurtsorten. Und ich bezweifle stark, dass mich das österreichische Wunder ungesalzener Butter und ungesalzenen Schlagobers oder echten Schwarzbrots langfristig glücklich machen kann, vor allem wenn jeder Einkauf mit den Unannehmlichkeiten unglaublich vieler Hundescheißehaufen einhergeht, die hierzulande trotz einer ausgeschilderten Strafe von EURO 36 für die Verschmutzung von Straßen unaufgeklaubt bleiben.
Und a propos Neugier: auch Julica Jungehülsings Buch "Ein Jahr in Australien" lese ich noch einmal. Am Ende einer Australienreise schaut sie aufs Meer und beschließt zu bleiben. Nebst den vielen Gründen, die sie für ihr Bleiben anführt, nennt sie aber auch folgenden: "Und daneben gab es noch eine Reihe anderer Gründe, die unter anderem mit Neugierde, Herzklopfen, der Lust auf Neues und der Angst vor Alltag zu tun hatten." Damit spricht sie mir wirklich aus der Seele – nur dass ich nicht beschlossen habe zu bleiben.
Die Neugierde lässt sich hier einfach nicht so schnell befriedigen wie in der Fremde und das Herzklopfen hier ist bestenfalls die Folge von dummen Frisörinnen, langsamem Kassa-Personal und nicht funktionierenden Postzustellungen. Wo sind die Affen, die Kängurus und das Meer? Ist es wirklich das höchste der hiesigen Gefühle, wenn ich ganz in der Nähe ein neues kleines Einkaufszentrum entdecke, in dem auch ein neues chinesisches Lokal aufmacht? Ich will es nicht glauben…
Auch mein altes Gewand entdecke ich wieder: vieles kann man viel fröhlicher kombinieren, und an vieles erinnere ich mich gar nicht. Trotzdem: die alten "Probleme" und lästigen Pflichten haben sich nicht einmal Mühe gegeben, sich in neuem Kleid zu zeigen. Aber das macht nichts, denke ich, ich kann sie ja einer Kleiderpuppe umhängen. Und ich werde mir ein paar neue Sachen kaufen – ein Paar "outrageous shoes" muss her, davon träume ich seit der Auszeit, auch wenn ich bezweifle, darin wirklich gehen zu können. Das ist ja auch so eine Diskrepanz: die Lust auf neue Sachen, sei es Gewand oder technische Geräte. Man sollte meinen, dass wir nun mit weniger auskommen, was auch in vielen Fällen so ist – ich verweise mit großem Stolz auf unsere weiterhin halbleeren Lebensmittelladen und den innen halbleeren und hübsch dekorierten Kühlschrank – aber gleichzeitig erleben wir beide eine gewisse heimische Einkaufslust. Ein neuer Fernseher wäre schön, ein neuer Monitor, besagte neue Schuhe…
Eine Anschaffung erfolgt jedenfalls bereits nach wenigen Tagen: Zimmerpflanzen. Die alten Pflanzen sind uns im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf gewachsen und viel zu groß geworden für die Fensterbretter. Und erst nach einem Besuch bei Bellaflora, der nun auch die Fensterbretter wieder grün und blühend erscheinen lässt, kehrt für mich wieder ein Ansatz von häuslicher Normalität ein.
A propos häuslich: weiterhin entdecke ich technologische Errungenschaften, auf die ich bereits ganz vergessen hatte. Nicht nur, dass ich gewohnheitsmäßig mit der Hand abwasche, anstatt den Geschirrspüler zu befüllen, hatte ich auch beim Backen der Lemon Meringue Pie ein besonderes Aha-Erlebnis. Ich war gerade damit befasst, frisch geriebene Zitronenzesten klein zu schneiden, als mir Max über die Schulter blickte und mich an die Existenz einer Gemüsereibe erinnerte. Nicht genug damit: kurz darauf erklärten mir mehrere Personen, dass man geriebene Zitronenzeste bereits im Päckchen kaufen kann – wie simpel…
In der ersten Woche habe ich noch aufbegehrt gegen den heimischen Trott; jetzt füge ich mich in ihn und versuche, das Beste daraus zu machen. Ich lese die australischen Bücher, sehe australische Videos und koche ausländisch. Eine spannende Zeit, zweifellos, eine, die ich dokumentieren möchte, weil ich irgendwann den Prozess nachvollziehen können will, den das Heimkommen für mich mit sich gebracht hat. Wobei mich nicht einmal das Bloggen richtig freut, denn das zwingt mich, mir meine schlechte Laune und mangelnde Anpassungsfähigkeit einzugestehen. Okay, es ist ja nicht so, dass ich richtig gut im Es-Verbergen bin, aber es schwarz auf weiß zu sehen, ist natürlich auch nicht so toll – vor allem, wenn ich sehe, wie Max mit Freude und Gelassenheit diese Umstellung von Freiheit auf Alltag vornimmt.
Max: naja, "Freude" ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber ich hatte auch nicht so große Erwartungen an die Entdeckung eines neuen Lebens; daher fällt mir das Eintauchen ins "alte" Leben ein wenig leichter.
Und jetzt fahre ich schnell zum Arzt, bevor ich auf ein weiteres technisches oder anderes Problem stoße, das ich auf die To Do-Liste setzen muss! (Pfui, ich habe das Unwort "müssen" gesagt!) Ich werde auch bei Hofer stehenbleiben, um einige Kleinigkeiten zu besorgen, und vielleicht sicherheitshalber gleich neue Reiseprospekte mit nach Hause nehmen. Und wenn ich sehr viel Glück habe, komme ich diesmal mit sauberen Schuhen ohne Hundespuren daran zurück!